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Wir sind ein Volk

By Flo | Oktober 3, 2010

Aus gegebenen Anlass möchte ich jetzt doch ein paar mehr oder weniger salbungsvolle Worte zum Tag der deutschen Einheit loswerden. Denn 20 Jahre nach der Wiedervereinigung stehen überall im Land neue Mauern. Nur diesmal befinden sie sich in unseren Köpfen.

Politik orientiert sich mittlerweile fast ausschließlich an den Interessen derjenigen Gruppierungen, die sich am vehementesten für ihr Eigenwohl einsetzen. Beispiele gibt es genug, seien es Vergünstigungen für Hoteliers, die Atomlaufzeitsverlängerung oder das nächste Lobbyistengeschenk du Jour. Dies führt aber zwangsläufig zu einer Spaltung der Gesellschaft. Denn Profiteure sind diejenigen Gruppen, die ihre Interessen über das Gemeinwohl stellen. Es wird also ein Gegeneinander provoziert, statt einem Miteinander, das allen nützt.

Ein hässliches Beispiel hierfür ist die Eskalation vom vergangenen Donnerstag im Streit um Stuttgart 21. Schon im Vorfeld wurde von der Politik mit allen Tricks dafür gesorgt, dass der Bürger so wenig Einfluss wie möglich nehmen konnte. So konnten die Vorstellungen der Bau- und Immobilienindustrie voll erfüllt werden. Dies ist die Ursache für die extreme Polarisierung um ein so dröges Projekt wie einen neuen Bahnhof.

Seit am Donnerstag nun friedlich demonstrierende Kinder und Rentner mit Pfefferspray, Wasserwerfern und Knüppeln misshandelt wurden (ein Mann ist sogar erblindet, weil er sich schützend vor die Kinder gestellt hat), droht sich nun ein weiterer Riss in der Gesellschaft zu öffnen. Ein Riss zwischen den Bürgern und ihrer Polizei. Dabei bin ich sicher, dass die Mehrzahl der Polizisten diesen Einsatz nicht gut heißt.

Aber anstatt Fehler zuzugeben und sich zu entschuldigen, wird der Einsatz von den Verantwortlichen als notwendig und angemessen gerechtfertigt. Zu diesem Zweck werden die Opfer kriminalisiert. In der Tagesschau war sogar von fliegenden Pflastersteinen die Rede, eine Behauptung, die kurz darauf wegen hunderter Zeugen und ebenso vieler Videos im Internet zurückgezogen werden musste. Die Poltik arbeitet also aktiv an einer weiteren Spaltung der Gesellschaft. Da es sich bei den Demonstranten um die gesellschaftliche Mitte handelt, also den Kitt, der das Land zusammen hält, ist dies besonders fatal.

Vor diesem Hintergrund sind die Forderungen der Union nach dem Einsatz der Bundeswehr im Inneren oder der Ausweitung polizeilicher Kompetenzen das völlig falsche Signal. Man stelle sich nur vor, in Stuttgart wären, wegen der angeblich gefährlichen Situation, Panzer gestanden, und einer der Fahrer hätte die Nerven verloren.

Was können wir tun? Um die Spaltung des Landes zu überwinden bieten sich friedliche Demonstrationen gegen die Betonköpfe der Lobbykratie an (und zwar jeglicher politischer Couleur). Auch das Internet kann eine große Hilfe sein, solange es unzensiert Zugang zu unabhängigen Informationsquellen, die nicht unter dem Einfluss der üblichen Interessensgruppen stehen, bietet.

Aber das Wichtigste ist die mentale Einstellung. Wir sollten uns zwar alle gegen politische Einseitigkeit stellen, jedoch nicht die Politik einer Seite verteufeln. Meinungsverschiedenheiten sind gut und wichtig in einer Demokratie, solange sie in einer konstruktiven und von gegenseitegem Respekt geprägten Atmosphäre ausgetragen werden. In diesem Sinne denkt daran: es gilt „Wir sind ein Volk“ statt nur „Wir sind das Volk“.

Topics: Gesellschaft

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